„Eine
neue Farbe schaffen“
Gleich nach diesem Interview spielte die Französin Jennifer Cardini
ein furioses Set im Club Vauban (Brest, Festival Astropolis). Während
der Party gibt sie sich entfesselt, bei unserem Interview ist sie offen
und zuvorkommend. Die DJ-Frau mit dem mitreißenden Stil kommt
aus dem Umfeld der Pariser Clubs Pulp und Rex. Doch immer häufiger
hören wir sie auch in Berlin und Barcelona. Vor kurzem erschien
„Lust“, ihre dritte Mix-CD. Für die Label Crosstown
Rebels und Kill the DJ hat sie selbst Stücke produziert.
Aus welchem musikalischen Background kommst
Du?
Wie alle bin ich von der Musik meiner Eltern geprägt. Ich
bin '74 geboren: Das war also ziemlich 80er, die üblichen Sachen
aus den Hitparaden, das ganze Italo-Disco-Zeug, die Anfänge von
Electro, die französischen Hits aus dieser Zeit wie „Taxi
Girl“ oder „Boule de flipper“. Und alle Standards
wie „Fade to Grey“ und manche Depeche Mode-Stücke,
die mich mit dem Klang von Synthesizern vertraut gemacht haben. Danach
habe ich mich eher in Richtung von dunkleren Sachen orientiert, wie
The Cure, Alien Sex Fiend oder Joy Division. Nicht so viel Pink Floyd,
eher diese kühlere Seite.
Wann fingst Du an in Clubs zu gehen und
aufzulegen?
Ich war 16 oder 17 und lebte in meiner Heimatstadt Nizza. Ich
bin mit Freunden losgezogen. Das war mein erster Abend in einem Club.
Ein echter Schock. Es war genau wie heute: schwitzende, halbnackte Leute.
Ich habe Videos von damals aus diesem Club gesehen: Es stellte sich
heraus, dass Laurent Garnier damals dort aufgelegt hat. Das blieb also
ziemlich im Stil von Detroit, nicht zu hart. Weil recht viele amerikanische
DJs wie Stacey Pullen, Kenny Larkin oder DJ Pierre in Südfrankreich
spielten, war unsere Musikkultur sehr von Detroit, Chicago und Acid
geprägt.
Bis zu diesem Abend im Club hatte ich mich schon für Musik interessiert,
ich verbrachte ja viel Zeit mit Musikhören. Aber im Gegensatz zu
vielen Freunden war ich keine Sammlerin. Die Neugierde wurde also wirklich
von der elektronischen Musik angefacht. Nach dieser Entdeckung fing
ich an, Platten zu kaufen. Seitdem pflege ich meine Musikkultur und
habe sie inzwischen zum Beispiel um Jazz und klassische Musik erweitert.
Wie würdest Du Deinen Musikstil beim
Auflegen definieren?
Das ist schwer zu sagen, weil ich alle Platten kaufe, die mir
gefallen. Ich könnte nicht drei Stunden Minimal Techno oder Electro
auflegen. Ich mag Abwechslung, wenn Stimmen da sind, wenn es schön
deep wird, wenn eine Atmosphäre entsteht. Ich will mich nicht auf
etwas festlegen lassen. Vor allem wenn ich drei Stunden spiele, muss
das lebendig sein, sich entwickeln, durch verschiedene Phasen gehen.
Kannst Du etwas zu Deinem Mix-Stil sagen?
Mir scheint zum Beispiel, Du machst gerne lange Übergänge...
Ja, das ist ein bisschen die Schule von Garnier: Es entsteht
eine Atmosphäre, die Platten laufen lange parallel... Ich gehe
einen Mix so an, als würde ich ein Stück komponieren. Das
heißt, ich höre mir eine Platte an und frage mich: Mal überlegen,
was könnte denn da noch fehlen? Und dann füge ich etwas hinzu,
was die Platte meiner Meinung nach gut ergänzt. Es geht mir also
überhaupt nicht um cuts, sondern wirklich um eine Mischung. Wie
wenn ich zwei Farben von einer Knetmasse nehmen würde, sie vermische
und am Ende eine neue Farbe schaffe. Wenn zwei Platten so gut zusammenpassen,
dass ich sie gar nicht mehr stoppen will, überlaufen mich wohlige
Schauer.
Mit welcher Einstellung machst Du Dich
an ein Set?
Man hofft natürlich immer, dass es genial wird. Aber im
Allgemeinen ist genau das das Problem, weil man dann gerne mal enttäuscht
wird. Ich glaube, am Besten ist es, wenn man Angst hat. Dann musst Du
über Dich hinauswachsen. Denn das Ziel ist doch, sich selbst und
die anderen zu überraschen, damit man Lust hat, weiterzumachen.
Und was machst Du gegen die Angst?
Ich beginne mit Platten, die ich gut kenne. Es gibt Platten,
die sehr lange in meinem Plattenkoffer bleiben. Dann nehme ich sie raus,
und später kommen sie wieder...
Hattest Du für Deine kürzlich
erschienene Mix-CD „Lust“ eine besondere Herangehensweise?
Bei der Compilation davor, „Electroniculture 2“,
war ich komischerweise wirklich gestresst. Ich habe mir den Kopf zerbrochen,
weil ich etwas Besonderes machen wollte. Und jetzt, bei „Lust“,
bin ich ganz spontan rangegangen, ich habe die Stücke genommen,
die ich zur Zeit im Club spiele. Diese CD war emotionaler, ich habe
versucht, mich nicht mit meinem Hang zum Perfektionismus verrückt
zu machen. Denn wie gesagt, die davor war wirklich eine schwere Geburt!
(lacht)
>> interview und übersetzung:
olian